Kurt Kirmes, Predigt zum 25. Todestag

Kurt Kirmes

Predigt zum 25. Todestag in der Gutleutkircheam 25.Mai 2008

Gedenkg. Jürges 1.n.Trin. Ffm Hoffnungsgem. 5. Mose6, 4-9

Vorstellung: Kurt Kirmes, Diakon 6 Jahre Zusammenarbeit mit Irmtraud und Martin.

Gnade sei mir euch und Friede, von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus, Amen

Herr bewahre mich in Gnaden, dass ich nicht anderen predige und selbst am Sinn des Lebens vorbei gehe, Amen.

Liebe Gemeinde, meiner Predigt lege ich den Text für den heutigen 1. Sonntag n. Trinitatis zu Grunde. Er steht im 5. Mosebuch, K. 6, die Verse 4 bis 9. – „Höre Israel: Der Herr ist unser Gott, der Herr allein. So liebe denn den Herrn, deinen Gott, mit deinem ganzen Herzen und mit deiner Seele und mit aller deiner Kraft. Die Worte, die ich dir heute gebiete, sollen dir ins Herz geschrieben sein, und du sollst sie deinen Kindern einschärfen und von ihnen reden, wenn du in deinem Hause weilst und wenn du auf der Wanderung begriffen bist, wenn du sich nieder legst und wenn du aufstehst. Du sollst sie dir als Gedenkzeichen auf die Hand binden und als Stirnband zwischen deinen Augen tragen und sollst sie auf die Pfosten deines Hauses schreiben.“ – Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, in den letzten 12 ½ Jahren meiner beruflichen Tätigkeit war ich Altenheimseelsorger in der jüdischen Henry und Emma Budge – Stiftung, in Frankfurt – Seckbach. Dieses Haus hat bis heute eine ausgeprägte Praxis jüdisch-rituellen Lebens, zentriert auf die Haus eigene Synagoge. In dieser Zeit habe ich dort vieles lernen können und ganz neu erfahren. Vertieft hat sich zum Beispiel meine Sensibilität für jüdische Rituale und Feste. Meine Frau und ich nahmen jährlich als Ehrengäste an diesen Festen teil. – Allgemein bekannt ist sicher der jüdische Schabbat, im Dialekt Schabbes genannt. Die progressive, jüdische Amerikanerin Joyce Hannover schreibt hierzu in ihrem Buch „Gelebter Glaube“: „Die Idee eines wöchentlichen Ruhetages war einer der großen Beiträge, die das Judentum der menschlichen Zivilisation geliefert hat.“ – Dieser Feststellung stimme ich zu und begreife nicht, warum wir mit

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diesem Geschenkt nicht sorgfältiger umgehen. Auch unser Abendmahl, das seine Entstehung dem Sederabend, dem Vorabend des Pessachfestes und der Stiftung durch unseren Herrn Jesus Christus verdankt, hat im Judentum seine Wurzeln. – Zwischenzeitlich ist es ja gelegentlich auch in evangelischen Gemeinden üblich, einen Sederabend zu feiern, nur wünschte ich mir dann mehr Sorgfalt im Umgang mit der Vorlage. Unser heutiger Text geht von dem Grundsatztext aus, gleichzeitig dem jüdischen Glaubensbekenntnis und Tagesgebet: „Höre Israel, der Herr unser Gott, der Ewige, ist einzig.“ – Diesem jüdischen Glabensbekenntnis ordnet sich alles andere unter. Sicher kennen viele von uns aus Fernsehreportagen über jüdisches Leben einige, der im Text genannten Handlungen. Das Bedeckte Haupt, mit der „Kipa“. Das im Gottesdienst über die Schultern der Liturgen gelegte Tuch, das Stirnband, in das die Worte des Glaubens-bekenntnisses eingearbeitet sind, den um den Arm gebundenen Gebetsriemen, der übrigens im Nazideutschland durch Nazi-Schergen auch dazu verwandt wurde, ihn ihrem Träger um den Hals zu legen und ihn so qualvoll zu erwürgen. – Auch die Anweisung, diese Worte des Glaubensbekennt-nisses auf den Türrahmen zu schreiben, hatte in dieser Zeit Folgen. Entsprechend der Anweisung ließen fromme, jüdische Menschen den Text mit Feder und Tinte auf ein Stück Pergament schreiben. Dieses kleine Papier wurde dann zusammen gerollt und in eine „Mesusa“,ein kleine, etwa 6 cm lange Röhre, aus Silber- oder Bronzeblech, auch aus Holz, gelegt die dann mit zwei kleinen Nägelchen etwa in Augenhöhe außen am rechten Türrahmen befestigt wurde. In den Nächten z.B., in denen die Nazi-Rollkommandos in Großstädten, wie Berlin, von Tür zu Tür tobten, brauchten sie nur nach den Spuren dieser Nägelchen zu suchen, viele waren informiert. Selbst wenn die in Todesangst hinter der Tür zitternden Menschen schnell ihre MESUSA entfernt hatten, wurde für sie dieser religiöse Brauch zum Verräter. Auch am Türpfosten unseres Hauses befindet sich eine solche MESUSA, die meiner Frau und mit von

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Jüdischen Freunden geschenkt wurde. Immer, wenn ich daran vorbei gehe, formt sich in meinem Kopf das Bekenntnis: „Höre Israel, der Herr, unser Gott, der Ewige, ist einzig.“ Im 1. Gebot des christlichen Katechismus ist dies für uns, bezogen auf 2. Mose 20, so umgesetzt: „Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine anderen Götter neben mit haben.“ Dies ist der gemein-same Grundsatz, zu dem wir im 2. – oder, wie wir auch sagen, „Neuen Testament“ sehr praktische Folgerungen dieses Bekenntnisses finden, die uns durch Jesus von Nazareth, den Christus, in einmaliger Weise bezeugt sind. <Lesung: Matth. 5, V.3-10…>Diese Glaubensorientierung war auch Irmtrauds und Martins Quelle, eigener Grundsätze und Handlungsprogramms. In diesem Tagen des Erinnerns an Ihren furchtbaren Tod, den sie zusammen mit denen erleiden mussten, die mit im Auto saßen, kann es dennoch nicht nur um einen Gedenktag gehen. Beide würden sich und uns auch heute fragen, wie setzten wir dies um, was haben wir daraus gemacht, wie werden wir verantwortlich versuchen für unsere Bekenntnis einzutreten? – Hierbei war ihnen, wie uns heute bewusst, wo die eigenen, reflektierten Grenzen liegen und warum der Beistand in Glaube und Gebet für uns so unverzichtbar ist. – 25 Jahre später ist es doch in erschreckender Weise immer noch so, wie aus politischen und wirtschaftlichen Gründen, wie man sagt, Gewalt, so genannte militärische Optionen und die Ausplünderung von Ländern kultiviert ist. Die Eigenreflektion lag damals, zur Zeit der gemeinsamen Teamverantwortung, für uns auch im Alltag des Stadtjugendpfarramtes. – In diesem Amt, in dem wir zusammen arbeiteten, vertrat Martin den Grundsatz, egal was draußen geschieht, einschließlich der Fehler, die uns unterlaufen, ist dies immer unsere gemeinsame Sache. Wir sind miteinander uneingeschränkt solidarisch. Ich, Martin, stehe für alles, was wir im Zusammenhang unserer Arbeit zu vertreten tun ein. Liebe Freundinnen und Freunde, ich weiß auch heute sicher, selbst wenn es bei uns einmal hakte, dass dieser Grundsatz von Martin und Irmtraud nie verletzt wurde. – Auch war uns hierbei klar, dass diese Haltung für den Ev Regionalverband, den Träger des Amtes, nicht immer einfach war. -4-

-4- Erinnerlich ist mir zum Beispiel, dass unsere Art sich zu engagieren und zu äußern, auch im Jugendpolitischen Bereich, Reaktionen herausforderte.- So wurde uns ein Beschluß des Vorstandes des Verbandes zugesandt, der – schwarz auf weiß, auf roten Bogen aufgeklebt, folgenden Text zum Inhalt hatte: „ Wenn die Herren Jürges und Kirmes sich zukünftig in der Öffentlichkeit äußern wollen, haben sie dies zuvor mit dem Vorsitzenden zu besprechen, Schriftstücke sind vorzulegen.“ Natürlich hatte dieser Beschluss folgen. – Lokalredaktionen in Frankfurt, zu denen wir gute Kontakte hielten, erkundigten sich telefonisch wegen dieses „Maulkorbbeschlusses“, wie sie ihn nannten, im Regionalverband. Der Vollständigkeit halber füge ich hinzu, Frau Gebhardt, die ich sehr schätze, war damals noch nicht Vorsitzende. Daraufhin wurde dieser Beschluß modifiziert und lautete nun: „Die Herren Jürges und Kirmes dürfen sich weiterhin in der Öffentlichkeit äußern, soweit nicht das Interesse von Kirche an der Öffentlichkeit berührt ist.“ – Für uns war dies damals kein Lacher, hatten wir doch auf vielen anderen Ebenen einen sehr konstruktiven Kontakt zu dieser Institution. Wie wir unsere kritischen Anfragen zum Beispiel formulierten, läßt sich an den Plakaten unserer Aktion „PO“, politisch Obdachlose ablesen, zu finden, in „Den Stummen eine Stimme“, Hrsg. Eimuth/Quirin. Eine Aktion übrigens, die der Kreis der Aktionisten aus privater Tasche finanzierte. – Diese Aktion im turbulenten, kommunalen Wahlkampf, produzierte auch Reaktionen einer uns damals eigentlich nicht unsympathischen, Partei. Ein Fraktionsassistent rief mich, als einziger gerade erreichbar, an und wollte mich in einem ½-Stündigen Gespräch überreden, diese Aktion zu beenden. Wie grundsätzlich verabredet, lehnte ich ab. – Nach Martins Tod sollte mich eine Auswirkung dieser Aktion, so sah es mancher, noch einmal sehr persönlich in unangenehmer Weise einholen. – An einem 2. Beispiel läßt sich die Ausformung von Martins Grundhaltung ebenfalls darstellen: – Wegen scheinbar nicht lösbarer Personalprobleme, sah sich der Verband genötigt, den „Klub für junge Berufstätige“, in der Stalburgstraße, zu schließen. Wir hatten diese Schließung nicht

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-5- verhindern können. – Die sich anschließende Frage wurde uns vom Verband übergeben, was mit den beiden Planstellen geschehen sollte. Vorschläge sollten erarbeitet werden. In der Hausdiskussion entstanden zwei Vorschlage. Martin plädierte dafür, im Stadtjugendpfarramt ein eigenes „Referat ‚Offene Jugendarbeit‘, einzurichten. Mein Vorschlag war, die 2 Stellen für ein Stadtteilprojekt, in diesem Fall am Bügel- zwischen Bonames und Niedereschbach- einzusetzen. An einem dieser Tage gingen wir beide ziemlich angesäuert nach Hause. Am nächsten Morgen, als ich die Treppe in der Stalburgstraße hinauf steig, stand Martin oben, mit ausgebreiteten Armen auf dem Treppenabsatz. Er nahm mir in den Arm und sagte, „komm, ich habe eine Idee, wie wir weiter machen können: Wir bitten Pfarrer Schäfer, den Vorsitzenden des Verbandes und Herrn OKR Telschow, den damaligen Verwaltungsdirektor um einen Termin hier im Haus. Jeder von uns trägt sein Konzept vor und diese sollen dann entscheiden. Alle Beteiligten willigten sein. Die Sitzung fand in der Stalburgstraße statt und wurde der Beginn zum Stadtteilprojekt am Bügel und der Impuls zur Gründung des Ev. Vereins für Jugendsozialarbeit. Nach dieser so gefällten Entscheidung hatte ich nie den Eindruck, dass mir Martin etwas nach trug. Als Mitgründer des Vereins blieb er bis zu seinem Tod ein engagierter Schützer der Ziele des Vereins und in seinem Engagement ein Mentor meiner Aufgabe als Geschäftsführer.- Fast endlos scheint mir die Liste seiner Aktivitäten, auch seines Engagements an den verschiedenen regionalen und überregionalen Kirchentagen. – In dieser und ähnlicher Weise war denn Martins Arbeit, ohne Glorifizierung seiner Person, immer inhaltlich ausgerichtet und den „kleinen Leuten“ zugewandt. – „Was ihr getan habt, einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“ – Jesus Christus, der uns dies so zuspricht,, weist so sehr konkret auf die Menschen hin, für die wir uns einsetzen, unsere Schwestern und Brüder, auch die so genannten „Kleinen Leute“, die scheinbar Bedeutungslosen in unserer Feudalgesellschaft. Irmtraud, unsere liebe Freundin und Kollegin, war hierbei immer und überall die kluge

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Begleiterin, Trägerin der leisen, aber unüberhörbaren kritischen Nachfragen, auch die, die bei unserer Aktion „PO“ in stundenlanger Handarbeit die Plakate schrieb. So, wie für meine Frau Eva und mich, uns alle, die wir sie liebten, Martin, Irmtraud, Mutter Erna, Jan, Katharina, Gesine, die Trauer und der Schmerz bleibt, so fühlen wir uns, so lange uns dies möglich ist, durch die Liebe unseres Herrn Jesus Christus, durch das Engagement der Verstorbenen berufen, Gewalt gegen Menschen zu bekämpfen, die Arroganz der Mächtigen als solche zu bezeichnen, so genannte „militärische Optionen“ abzulehnen, für Frieden einzutreten, Benachteiligte zu unterstützen, Räume aller Art, wie hier in der Hoffnungs-gemeinde möglich zu machen. – Gelegentlich, wenn mir persönlich der Druck auf meinen Nacken zu groß scheint, sage ich mir, auch mal Anderen, aufmunternd, „vielleicht sitzen sie auf Wolke 19 und lächeln uns liebevoll zu.“ – Gemeinsam ist uns Glaubenden die Weisung und Orientierung der Bibel, „höre Israel, der Herr unser Gott, der Ewige ist einzig.“ Wir treten in das 1. Testament ein, das Gott mit seinem Volk Israel geschlossen hat und für uns in seinem 2. Testament, durch seinen Sohn Jesus Christus, erfüllt ist. Was wir Christen wohl immer wieder lernen müssen, – so – unsere Geschichte mit diesem Gott zu begreifen, dass diese ohne Sein Volk Israel und dessen Zeugnis, undenkbar ist. – Uns wünsche ich nicht nur ein gutes, friedvolles Erinnern, sondern auch weiterhin ein mutiges Eintreten für die Ziele, die unsere Freunde und viele andere vor und nach ihnen, mit uns getragen haben und tragen. Amen.

Und die Liebe Gottes, welche höher ist, als alle menschliche Vernunft, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.

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